Tylenturm (Korbach)

Der Tylenturm in Korbach ist der größte noch erhaltene Turm der Stadtbefestigung. Anklicken für größere Version.

Der Tylenturm ist ein im 13. oder 14. Jahrhundert errichteter Verteidigungsturm in der Stadtbefestigung der Altstadt von Korbach und gehört zu den ältesten Bauwerken der Stadt. Er steht an der Kreuzung der Straßen Im Sack und Am Tylenturm.

Geschichte

Der Tylenturm - auch Thylenturm oder Thülenturm geschrieben - ist Bestandteil der Stadtmauer der ab Mitte des 13. Jahrhunderts errichteten Oberneustadt. Der hufeisenförmige Grundriß, der bei den Fritzlarer Türmen vor das Jahr 1273 zurückgeht, die Dicke des Mauerwerks sowie der nischenartige, nur von der Mauer aus zugängliche Innenraum machen es wahrscheinlich, daß der Turm zu den ersten Befestigungswerken der Neustadt gehörte, er also vielleicht noch ins 13. Jahrhundert zurückgeht und damit das älteste Baudenkmal Korbachs wäre. [1]

Der Turm ist nach der aus der Gegend von Brilon stammenden Familie von Tylen (auch Tülen oder Thülen) benannt, die im 14. Jahrhundert in Korbach einen Burgsitz hatte und hier bis Anfang des 16. Jahrhunderts ansässig war. Der Turm mag zunächst Teil der Burg gewesen sein, dessen Name dann auf ihn übergegangen ist.[2] Ein Konrad von Tülen wird in einem Güterverzeichnis aus der Mitte des 14. Jahrhunderts zum Jahr 1144 genannt. [3] Von der Familie von Tylen berichtet auch die Sage Das Findelkind vom Tränketor.

Als 1732 die Fürstliche Regierung die Stadt ersuchte, ihr zum Ausbau eines Amtsgefängnisses den Tylenturm zu überlassen, erklärten sich Bürgermeister und Rat hiermit nicht einverstanden, da der Tylenturm einer der "schönsten Türme und eine Zierde der Stadt" sei. Außerdem wird darauf verwiesen, daß "das darin befindliche Gewölbe nicht nur tief in die Erde geht und auswendig nach der engen Tür gar zu hoch hinauf gestiegen werden muß, ehe man zu solchen Gefängnis kommen kann, indes dieser Turm vordem nur einzig und allein ein Behälter für Maleficanten, die den Tod verwirkt haben, nicht aber für andere Delinquenten, die dergleichen nicht verdient, gewesen." [4] Es wurde dann nach längeren Verhandlungen der Rote Turm auf dem Ascher zum Gefängnis ausgebaut.

Noch 1733 diente der Tylenturm als Gefängnis. Eine Diebesbande war auf dem Markt ertappt worden. Man inhaftierte die zum Teil noch jugendlichen Verdächtigen in das am Rathaus gelegene Blockhaus, den Butterturm und den Tylenturm. Beim Verhör stellte sich heraus, daß sie bereits mehrfach durch Betrug und Diebstahl aufgefallen waren, weshalb sie zum Tode verurteilt wurden. Sie wurden durch Scharfrichter Rosenberg am Galgen auf dem Waldecker Berg gehenkt. Der Zimmermann, der die Galgenleiter zu kurz bemessen hatte, erhielt einen Verweis, da hierdurch die Hinrichtung behindert wurde. [5] Einer der Verurteilten, ein Johannes Mohr, hatte im Tylenturm mehrere Lieder gedichtet, die als "Spitzbubendichtung" in die Korbacher Geschichte eingegangen sind:

"Es gingen unser drey nach Corbach hinein.
Wir gingen auch ein wenig um Bier und Brandwein.
Wir gingen auch ein wenig auf dem Marckt herum,
biß wir ein Diebstahl antreffen konnten thun." [6]

"Die führt man mich an einem Seil zum Tylenturm hinein
und stellt mir beide Leitern drein.
Wie ich nun in den tiefen Turm hinein kam
mit Schreien und Weinen sah ich die Tiefe und die Mauern an.
Da legt ich mich in ein wenig Stroh hinein.
Vor Frost und Kälte mußt ein wenig Stroh das Überbette sein.
Wann ich ein wenig essen und trinken wollt,
mit einem Seil wurd mir's geholt." [7]

"Wie hat Johannes Mor die Zeit rum gebracht?
Mit Beten und Singen die Zeit rum bracht ...
Des Mittags um elff Uhr herum,
da brachte Ricus ein Groschenliebgen Brod.
Und auch ein Krügelchen mit Waßer dabey,
das ließ er ihm am Seil hinein. ...
Ach Gott! Ach Gott! Was soll dass seyn?
Es muß ja zu Corbach schlimme seyn,
so schlimme muß es seyn. ...
Wer hat sich denn das Liedgen erdacht?
Das hat Johannes Mor im Tylenthurm gemacht.
Im Tylenthurm hat er's gemacht;
A Dieu Corbach, zu tausend gute Nacht." [8]

Um 1900 (?) wurde der Turm nach einer anonymen Spende eines Korbacher Bürgers (Robert Waldeck?) ausgefugt und vor dem Verfall gerettet. [9] Während des zweiten Weltkrieges hat der Besitzer des angrenzenden Hauses, Heinrich Westmeier, mit Genehmigung der Stadt das Verlies durch einen seitlichen Zugang geöffnet und als Luftschutzkeller benutzt. Später diente ihm das Verlies als Kellerraum. [10]

Im Jahr 1996 wurde anläßlich des 1997 in Korbach stattfindenden Hessentages der Dachhelm sowie ein Teil des Wehrgangs in einer Gemeinschaftsarbeit der Stadt Korbach, der Waldeckischen Domanialverwaltung und der Korbacher Schützengilde 1377 e.V. neu errichtet. Nach Einreichung des Bauantrags im März 1996 erfolgte der Baubeginn am 23. August 1996 mit der Konstruktion des neuen Wehrgangs. Bereits am 20. Dezember 1996 konnte der Turm mit dem ca. 12 Tonnen schweren Helm versehen werden, der vormontiert mittels eines Autokrans auf die Mauerkrone gesetzt wurde. Im Frühjahr 1997 erfolgte der Innenausbau des Turmes mit einer Holztreppe bis zum neuen Dachgeschoß. Am 3. Mai 1997 wurde das Werk eingeweiht. [11] Inkonsequenterweise versagte die Denkmalschutzbehörde im Jahr 2011 die Genehmigung für eine ähnliche Rekonstruktion des Enser Tores und bestand auf einen deutlich als solchen erkennbaren Neubau, dessen Gestaltung viel Kritik erfahren hat, da er sich nicht in die historische Bausubstanz einfügt.

Im Jahr 2015 wurden in die ehemaligen "Kümmelschen Gärten", direkt vor die äußere Stadtmauer, zwei große Mehrfamilienhäuser gebaut, die die Mauer überragen und den Blick auf den Tylenturm und die Stadtmauer in diesem Bereich beeinträchtigen.

Erscheinungsbild

Der Turm wurde 1939 wie folgt beschrieben: [12]

"Im Grundriß mit gestelztem Halbkreis nach außen und im Rechteck nach innen vortretend. Hochragendes Massiv aus breit gefugten Kalksteinblöcken. Fünf Stockwerke. Im Erdgeschoß ein mit Rundbogentonne überwölbtes Verlies mit hochliegender, rechteckiger Einstiegsöffnung an der Stadtseite. Das zweite Geschoß in Höhe des Wehrganges. Nach diesem hin zwei rundbogige Mauerdurchlässe. An der Stadtseite ist dieses und das folgende Geschoß durch einen die ganze Breite des Innenraumes einnehmenden schlanken Spitzbogen geöffnet. In den drei obersten Geschossen Schießschlitze mit innerer Schräglaibung. Über den Geschossen jeweils innerer Mauerrücksprung."

Die stadtseitige große Spitzbogenöffnung war ehemals durch Holzbohlen und Fachwerk verschlossen. [13] Die Aussichtsplattform befindet sich auf rund 25 Meter Höhe. Mit dem neuen Dachhelm ist der Turm mehr als 30 Meter hoch. Er steht daher dem 38 Meter hohen Grauen Turm in Fritzlar, der als einer der höchsten erhaltenen Wehrtürme Deutschlands gilt, nur wenig nach.

Bilder

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Anmerkungen

[1] Werner MEYER-BARKHAUSEN, Alte Städte zwischen Main und Weser: Corbach, Verlag H.W. Urspruch, Korbach 1923, S. 14, 15. Wolfgang MEDDING (Bearb.), Korbach - Die Geschichte einer deutschen Stadt, Stadt Korbach (Hrsg.), 2. Auflage 1980, S. 98, datiert den Turm ohne nähere Begründung in das frühe 14. Jahrhundert; ders. meint in: Friedrich BLEIBAUM (Hrsg.), Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Neue Folge, Dritter Band, Kreis des Eisenberges, Kassel 1939, S. 104, der Turm sei "um 1300" entstanden.
[2] MEYER-BARKHAUSEN (wie Anm. 1); Hermann GENTHE, Geschichte der Stadt Corbach - Festschrift zur 3. Säkularfeier des Fürstlich Waldeckischen Landesgymnasiums zu Corbach, Mengeringhausen 1879, S. 56.
[3] MEYER-BARKHAUSEN (wie Anm. 1); Helmut NICOLAI/Wilhelm HELLWIG/Heinrich HOCHGREBE (Bearb.), Waldeckische Wappen - Beiträge zur Familiengeschichte, Teil 1 - Einführung in die Heraldik - Adelswappen, Arolsen 1985, S. 236 (v. Thülen).
[4] Hermann THOMAS (Bearb.), Die Häuser in Alt-Korbach und ihre Besitzer, Heft 4, Lengefelder Straße - Schulstraße - Im Sack - Am Tylenturm, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1959, Blatt zw. S. 46 u. 47.
[5] THOMAS (wie Anm. 4); Albert LEISS, in: Mein Waldeck, Beilage der Waldeckischen Landeszeitung für Heimatfreunde, 1928, S. 65/66.
[6] Zitiert nach Hans OSTERHOLD, Hans OSTERHOLD (Bearb.), Meine Stadt - Korbacher Bauten erzählen Stadtgeschichte, Magistrat der Stadt Korbach (Hrsg.), aktualisierte Auflage 2011, S. 10.
[7] Zitiert nach THOMAS (wie Anm. 4).
[8] Zitiert nach OSTERHOLD (wie Anm. 6).
[9] THOMAS (wie Anm. 4).
[10] THOMAS (wie Anm. 4)
[11] Vgl. Stadtbauamt Korbach, Stadtsanierung Korbach - Förderung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen - Ausführliche Beschreibung des Standes der Maßnahme, Korbach 2008, S. 11-12; Waldeckische Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 21.12.1996, S. 9.
[12] Wolfgang MEDDING n: Friedrich BLEIBAUM (Hrsg.), Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Neue Folge, Dritter Band, Kreis des Eisenberges, Kassel 1939, S. 105-106.
[13] Wolfgang MEDDING (Bearb.), Korbach - Die Geschichte einer deutschen Stadt, Stadt Korbach (Hrsg.), 2. Auflage 1980, S. 98.