Marktplatz 5 (Korbach)

Die "Waage", Marktplatz 5, im Dezember 2016.
Anklicken für größere Version.

Das Haus Nr. 5 am Marktplatz ist ein 1730 errichtetes Fachwerkhaus in der Altstadt von Korbach. [1] Vor dem Bau des gemeinsamen Rathauses der beiden Städte Korbach auf der Stechbahn stand hier das Rathaus der Altstadt. Das Haus ist als "Waage" bekannt, nach der hier früher stehenden Stadtwaage und der gleichnamigen Gastwirtschaft, wurde aber auch "Weinhaus" genannt.

Geschichte

1. Der beim Stadtbrand von 1664 vernichtete Vorgängerbau war das Rathaus der Altstadt. Da nach der Vereinigung von Alt- und Neustadt im Jahr 1377 in den folgenden Jahren ein neues Rathaus auf der Stechbahn gebaut wurde, dürfte das Altstädter Rathaus schon im 12. oder 13. Jahrhundert, vielleicht sogar noch früher, errichtet worden sein (vgl. aber Baubeschreibung unten und Anm. 2). Von diesem existieren nur noch die Keller und die Südwand des heutigen Gebäudes. Die gemauerte Südwand reicht bis zum 1. Obergeschoß. Vielleicht war einst das gesamte Erdgeschoß massiv gebaut, ähnlich den Rathäusern in Fritzlar und Wolfhagen.

In dem Gebäude tagte im 14. und 15. Jahrhundert das gräfliche Gaugericht, das gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf den Eisenberg verlegt wurde. In dem Altstädter Rathaus oder Weinhaus fanden die gräflichen Lehngerichte statt, ferner das gräfliche Freigericht, die Feme, die auch unter der Linde vor dem Enser Tor oder vor dem Lengefelder Tor abgehalten wurde. Wie die Inschrift an der Frontseite nahelegt, wurde auch das heutige Gebäude noch als Gericht genutzt. Seit vielen Jahrhunderten befindet sich in dem Haus bzw. seinem Vorgängerbau eine Gastwirtschaft, in der Wein, Bier und Branntwein ausgeschekt wurde. Das der Stadt gehörende Gebäude wurde als Gastwirtschaft verpachtet. Die Bezeichnung "Weinhaus" deutet auf die Korbacher Weingenossenschaft hin, ein Zusammenschluß Korbacher Bürger, die gemeinschaftlich Wein einkauften und in den Kellern des Hauses lagerten. Der Name "Waage" führt zurück in die Zeit, in der die nach Korbach eingefühhrten und die aus der Stadt ausgeführten Waren hier gewogen wurden. Der mit diesem Amt beauftragte Bürger führte die Bezeichnung "Waagenmeister".

2. Mitte/Ende des 17. Jahrhunderts sind folgende Wirte für die Weinwirtschaft in der Waage bezeugt:

Georg Haxthausen (Kirchplatz 2)
Henrich Germighausen, bis 1685 (Professor-Bier-Straße 5)
Georg Friedberg (vgl. Kilianstraße 2)

3. Von 1754 bis 1763 war der Bäckermeister Henrich August Hartwig (Lengefelder Straße 3) Weinwirt der Waage.

4. Dr. med. Varnhagen, der Vater des Geschichtsforschers Johann Adolph Theodor Ludwig Varnhagen, hat in seinen um 1760 entstandenen Aufzeichnungen über die Stadt Korbach von der Stadtwaage die folgende Darstellung gegeben: [2]

"Auf dem Marktplatz in der Stadt stehet ein ansehnliches Stadtgebäude, welches das Altstädter Rathaus, gemeinglich aber die Stadt-Waage genannt ist, weil daselbst die ein- und ausgehenden Waren gewogen werden. Darunter ist auch der Stadtkeller, in dem hier die Weinschenke und ein Branntwein-Zapfen ist. Zugleich werden Personen von allen Ständen hier bewirtet. In dem zweyten Stockwerk ist das Tuchhaus, wo einheimische und fremde Tuchhändler ihre Tücher auf den Jahrmärkten zum Verkauf auslegen. Auf die Markttage ist in diesem Hause die Hauptwache der Bürger. In demselben pflegt auch das Forstgericht gehalten zu werden, ingleichen große Gastmähler und Bälle. An dem Eingang des Hauses hängt die Stadt-Elle, wonach die anderen geeichet werden. Auch befinden sich an einer Ecke desselben Halseisen, woran der öffentlichen Schau auszustellende Verbrecher geschlossen werden."

Anfang/Mitte des 19. Jahrhunderts waren Franz Range (Enser Straße 1a) und später sein Sohn Henrich Wilhelm Range (Stechbahn 26) Wirte der Waage.

5. Im Jahr 1858 verkaufte die Stadt das Gebäude an den Schönfärber Carl Louis (Ludwig) Frese (* 20.07.1816; † 09.03.1889), Sohn des Stadtrezeptors und Schreinermeisters Georg Friedrich Frese (Stechbahn 18a) und der Wilhelmine Neumann. Er erhielt 1844 die Bürgerrechte und heiratete am 9. Juni desselben Jahres Henriette Karoline Philippine Auguste Otto (* 21.06.1823; † 08.01.1859), Tochter des Georg August Christian Otto (Tränkestraße 13, Lengefelder Straße 6) und der Marie Friederike Rappe. Die Eheleute Frese/Otto hatten sieben Kinder, darunter Nr. 6. Eine zweite Ehe ging Louis Frese am 16. Oktober 1860 mit Maria Sophie Caroline Müller (* 09.07.1837 in Redderse; † 30.08.1910) ein, Tochter des königlich-hannoverschen Revierförsters Christoph Wilhelm Müller in Amelgatzen (heute Gemeinde Emmerthal/Landkreis Hameln-Pyrmont). Aus der zweiten Ehe gingen noch einmal vier Kinder hervor. Eine Tochter aus erster Ehe, Sophie Wilhelmine Henriette Luise Frese (* 04.06.1851; † 05.03.1938), heiratete Wilhelm Range (Stechbahn 26).

6. 1889 erbte der Brauer Georg Christian Ludwig Frese (* 14.04.1845; † 30.11.1900), Sohn von Nr. 5, die "Waage" und betrieb sie als Wirt weiter. Am 1. November 1891 heiratete er Luise Schleicher (* 16.01.1870; † 08.06.1950), Tochter des Schreinermeisters Carl Schleicher (Klosterstraße 14) und der Louise Richter. Georg Frese war der Schwiegervater des Schriftstellers Oswald Koenig. Bereits kurz vor seinem Tod versuchte George Frese das Anwesen zu veräußern. In der Corbacher Zeitung heißt es in einer Anzeige im Juli 1900: "Bierbrauerei und Mälzerei und Wohnhaus, sowie der vorm Ensertore gelegene Lagerkeller usw. zu verkaufen. Ferner 75 Morgen Ackerland, 8 Morgen Wiese, Kegelgarten mit Kegelbahn. Wegen Krankheit des Besitzer Georg Frese."

7. Im Jahr 1900 übernahm der Braumeister Oskar Greiner (* 02.01.1869 in Neustadt/Rennsteig; † 17.10.1933 in Kassel) die "Waage" zunächst als Pächter; im November 1901 kaufte er das Haus. Er war der Sohn des Fuhr- und Handelsmanns Karl Albert Salomon Greiner und der Marie Friederike Sophie Geyer, beide aus Neustadt/Rennsteig. Am 5. Juni 1895 heiratete er in Hessisch-Lichtenau Elisabeth Heydolph (* 27.12.1868 in Hessisch-Lichtenau; † 15.02.1949 in Kassel), Tochter des Färbermeisters Martin Heydolph und der Johanna Elisabeth Kiefer, beide aus Hessisch-Lichtenau. 1907 eröffnete Greiner einen Bierverlag in der Bahnhofstraße 10 und verzog später mit seiner Frau nach Kassel.

8. Anfang des Jahres 1905 kaufte der Hopfenhändler Sauer aus Kassel das Anwesen. Nr. 7 blieb jedoch Pächter. In der Corbacher Zeitung vom Januar 1905 heißt es: Die Bierbrauerei nebst Gasthaus 'Zur Waage' mit einem Teil der Ländereien (ca. 20 Morgen) ist für 56.000 Mark in den Besitz des Hopfenspekulanten Sauer in Cassel übergegangen." Näheres über Sauer ist nicht bekannt.

9. Ab 1907 führte der Gastwirt Ernst Metz (* 06.09.1868 in Zennern; † 1941 in Weida) die Gastwirtschaft weiter. Aus den Angaben bei THOMAS (wie Anm. 1) wird nicht deutlich, ob lediglich als Pächter oder ob er das Gebäude gekauft hat. Er war der Sohn des Georg Martin Metz und der Anna Catharina Hocke, beide aus Zennern. Am 10. Februar 1910 heiratete er Anna Hintzmann (* 26.12.1881; † nach 1956 ?), Tochter des Buchbinders Carl Hintzmann (Stechbahn 14) und der Dorothea (Doris) Hartwig.

10. 1914 übernahmen die Schwestern Berta und Karoline Becker das Haus. Sie waren Töchter des Landwirts Heinrich Becker (1841-1920) aus Schweinsbühl und der Elisabeth Rüsseler (1848-1917) aus Berndorf.

a) Caroline Friederike Luise Berta Becker (* 07.09.1881 [3] in Schweinsbühl; † nach 1959) heiratete am 26. Oktober 1923 den Oberpostsekretär Karl August Albert Fahner (* 06.04.1878 in Großballhausen; † 04.10.1937). Sie wohnte an der Kalkmauer.
b) Luise Caroline Lina Marie Emma Becker (* 23.12.1885 [4] in Schweinsbühl; † nach 1959). Sie war verheiratet mit dem Studienrat Hans Sack und lebte später in Bad Nauheim.

11. 1931 wurde Friedrich Gerland (* 07.12.1893 in Ersen; † 19.01.1952) neuer Wirt der "Waage". Er war der Sohn des Christian Henirch Gerland und der Katharine Elisabeth Wagner, beide in Ersten. Am 7. Dezember 1926 vermählte er sich in Vasbeck mit Martha Böhle (* 03.07.1903 in Massenhausen; † nach 1959), Tochter des Schmiedemeisters Christian Böhle in Massenhausen und der Sophie Kaune aus Kohlgrund.

12. 1954 übernahm als Pächter der Gastwirt Karl Holzhaus (* 12.10.1904 in Kassel; † nach 1959) die Gastwirtschaft. Er war der Sohn des Oberrentmeisters Ludwig Holzhaus und der Alma Bühl, beide aus Kassel. Am 11. Dezember 1930 ehelichte er in Schmalkalden Martha Pistor (* 27.05.1909 in Schmalkalden; † nach 1959), Tochter des Gastwirts und Metzgermeisters Ludwig Schenk und der Elfriede Kappaut, verwitwete Pistor, beide aus Schmalkalden.

13. 1967 kaufte der Landwirt Hermann Schultze (* 17.10.1911; † 13.12.1977) das Gebäude, Sohn des Hermann Schultze (* 25.04.1876; † ca. 1939, aus Rathausgasse 16) und der Luise Sinemus (* 30.12.1884 in Rhoden; † 15.07.1965). [5] Er war in erster Ehe verheiratet mit Erna Nebe (* 27.03.1913 in Eimelrod; † ?). Die Ehe wurde geschieden. Eine zweite Ehe ging er mit Helga Wittmer (* 08.02.1926 in Ober-Waroldern ; † Ende 2011 oder Anfang 2012 [6]) ein.

14. 1977 Sohn von Nr. 13.

Erscheinungsbild

Aus dem Jahr 1939 findet sich folgende Baubeschreibung: [7]

Grundriß und Querschnitt.
Anklicken für größere Version.

"Zweigeschossig, Fachwerk auf Werksteinsockel. Obergeschoß und zwei Giebelgeschosse vorgekragt. Quergebälkprofil Karnies. 12x22 Gefache. Erdgeschoß-Südwand massiv mit teilweise gotischer Fensterprofilierung. Eckpfosten gequadert. Satteldach mit Krüppelwalm in S-Pfannen (z.T. durch moderne Falzziegel ersetzt) mit Schiefereinfassung. An der Nordseite Scheunentor und Zwerchhäuschen. Am Quergebälk der Ostseite Inschrift in Kapitale: 'KEINE PERSON SOLT IHR IM GERICHT ANSEHEN, SONDERN SOLLT DEN KLEINEN WIE DEN GROSSEN HÖREN FÜR NIEMANDS PERSON EUCH SCHEIDEN. DENN DAS GERICHT AMT IST GOTTES. IM JAHR NACH CHRISTI GEBURT 1730 DEN 20. SEPT.' Im Innern: Sehr tiefe Keller mit Türbogen in gotischer Profilierung. Tonnen- und Stichkappengewölbe. Im Erdgeschoß große Diele mit Bohlendecke und breiter Barocktreppe. Die Keller- und Südmauer des Erdgeschosses mittelalterlich, 14. Jh. Das übrige 1730 neuerbaut."

Das Gebäude ist etwa 13,75 m breit und ca. 24 m lang. Die mittelalterliche Südwand ist heute von einem modernen Kegelbahn-Anbau verdeckt, der 1985/86 auf dem früheren Garten der "Waage" errichtet worden ist.












Bilder

Anklicken für größere Versionen.

Anmerkungen

[1] Hermann THOMAS (Bearb.), Die Häuser in Alt-Korbach und ihre Besitzer, Heft 6, Kirchplatz - Marktplatz - Enser Straße - Katthagen - Kleine Gasse, Stadtarchiv Korbach (Hrsg.) 1960, S. 44-45. Alle folgenden Daten, soweit nicht anders vermerkt, nach THOMAS. Falls nicht anders angegeben, sind alle genannten Personen in Korbach geboren und gestorben.
[2] Zitiert nach THOMAS (wie Anm. 1); dieser zitiert nach der Corbacher Zeitung Nr. 83 vom 8. Juli 1903.
[3] Karl SCHULTZE/Karl THOMAS (Bearb.), Waldeckische Ortssippenbücher, Band 67, Schweinsbühl, Waldeckischer Geschichtsverein e.V. Bad Arolsen (Hrsg.), Korbach 2002, S. 238, Nr. 73; THOMAS (wie Anm. 1) gibt den 22.08.1885 als Geburtsdatum an.
[4] SCHULTZE/THOMAS (wie Anm. 3); THOMAS (wie Anm. 1) gibt den 07.09.1881 als Geburtsdatum an. Offenbar wurde die Geburtsjahre der Schwestern verwechselt.
[5] Vgl. Hilmar G. STOECKER/Friedrich HÜBEL (Bearb.), Waldeckische Ortssippenbücher, Band 51, Rhoden, Waldeckischer Geschichtsverein e.V./Magistrat Diemelstadt (Hrsg.), Korbach 1994, S. 432, Nr. 7378, S. 438, Nr. 7484.
[6] Die Glocke, Gemeindebrief der Ev. Stadtkirchengemeinde Korbach, 29. Jahrgang, Nr. 106, April 2012, S. 38. Redaktionsschluss war der 29. Februar 2012.
[7] Wolfgang MEDDING (Bearb.) in: Friedrich BLEIBAUM (Hrsg.), Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Neue Folge, Dritter Band, Kreis des Eisenberges, Kassel 1939, S. 141. Träfe MEDDINGs Datierung hinsichtlich des mittelalterlichen Teils zu (14. Jh.), wäre das altstädter Rathaus erst kurz vor oder zeitgleich mit der Errichtung des neuen Rathauses auf der Stechbahn gebaut worden.