Burg Löwenstein (Hessen)

Abb. 1: Burg Löwenstein um 1625. Aus Thesaurus philopoliticus Anm. 1.
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Die Burg Löwenstein beim Ortsteil Oberurff-Schiffelborn der Gemeinde Bad Zwesten in Nordhessen ist eine teilweise rekonstruierte Burgruine.

Geschichte

Die Burg wird erstmals zum 8. August 1253 erwähnt, als Werner II. von Bischofshausen und Konrad von Elben in ihrer Eigenschaft als Statthalter des Markgrafen von Meißen in Hessen auf der Burg ("in castro Lewinstein") zwei Urkunden über dort abgeschlossenene Rechtsgeschäfte ausfertigen [2]. Ob die Burg zu jenem Zeitpunkt gerade neu erbaut war oder bereits seit längerem existierte, ob sie schon vollendet war oder sich noch in der Entstehung befand, läßt sich den Schriftquellen und dem archäologischen Befund nicht entnehmen. Die in einer Broschüre der Gemeinde Bad Zwesten und in dem entsprechenden Wikipedia-Artikel zu findende Angabe, der Bau sei 1236 fertiggestellt worden, ist - soweit ersichtlich - urkundlich nicht belegt. Vermutungen, die Burg sei unter Ausnutzung der Erbfolgewirren in Hessen "nach mehr als fünfjähriger Bauzeit" entstanden,[3] sind ebenso spekulativ wie die Annahme, der Bau sei gegen Ende des elften oder Anfang des zwölften Jahrhunderts errichtet worden.[4] Ob die vielfach zu findende Angabe, Werner II. von Bischofshausen sei der Erbauer der Burg gewesen, zutrifft, muß daher offen bleiben, wenngleich für diese Vermutung spricht, daß das Eigentum an der Burg erst nach Werners Tod unter seinen drei Söhnen aufgeteilt wurde, das Schloß sich zuvor also in Werners Alleineigentum befand. Die Benennung der Burg erfolgte möglicherweise zu Ehren seiner Frau Gertrud von Itter, deren Familie einen stehenden Löwen im Wappen führte. Jedenfalls änderten Werners Nachkommen den Familiennamen in den folgenden beiden Generationen von "Bischofshausen" in "Löwenstein". Nach Werners II. Tod wurde die Burg gemeinsamer Besitz der von seinen drei Söhnen Heinrich, Hermann und Werner III. begründeten Löwensteiner Linien Löwenstein-Schweinsberg, Löwenstein-Romrod und Löwenstein-Westerburg. Die Einzelheiten der Einigung über die gemeinsame Verwaltung der Burg sind nicht überliefert, möglicherweise hatte man sich auch mit mündlichen Abreden begnügt. [5]

Abb. 2: Burg Löwenstein Ende des 18. Jahrhunderts.
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Erst aus dem Jahr 1371, als die Linien einen Burgfrieden schlossen, stammen nähere Nachrichten: Jede Linie hatte einen Sitz in der Obersten Burg, wohl der alten Anlage Werners. Der heute gut erhaltene große Bergfried blieb Gemeineigentum und war jedem Mitglied der Familie im Notfall zu öffnen. Im gemeinsamen Eigentum bliebt auch der neben dem Weg liegende Teil, auf dem ihre gemeinsamen Burgmannen ihre Sitze hatten. Diese Burgmannen, die adligen, wenn auch unfreien Geschlechtern entstammten, wurden von ihnen gemeinsam angenommen, hatten ihnen gemeinsam zu schwören, erhielten ein Haus, Besoldung, vor allem in Naturalien, und waren den Burgherren zur Dienstleistung verpflichtet. Als solche Burgmannen werden genannt: die Leibenicht, die von Hanenstein, von Hayn, Hug und andere.[6] In der Urkunde vom 4. Juli 1371 werden weitere Bauten genannt und über sie bestimmt: Die Hofstatt vor dem Tor, genannt "auf der Grube", neben dem Weg gehört denen von (Löwenstein-) Westerburg. Die Hoftstatt neben Leibenichts Haus, wo dessen Stall und der Pferdestall daraufsteht, gehört denen von Löwenstein-(Romrod). Das Tor, das unter der Kemnate der von Löwenstein unter dem Häuschen bei der Mauer, wo der Stall daraufsteht, nach außen führt, soll wie alle anderen Tore des Löwenstein Gemeineigentum sein. Das Häuschen auf diesem Tor bei einer Kemnate der von Löwenstein nutzen die von Löwenstein, lediglich zur Verteidigung darf es gemeinsam genutzt werden. Die von der Kemnate der von Löwenstein an angefangene Mauer, wo die von Löwenstein den Stall abgebrochen haben, soll Gemeineigentum sein, gleichgültig ob sie weitergebaut wird oder nicht.[7]

Zwischen 1295 und 1447 öffneten die Löwensteiner ihre Burg in mehreren Verträgen sowohl dem Landgrafen von Hessen wie dem Erzbischof von Mainz. [8] Am 25. Mai 1466 schließen die Garnerben erneut einen umfassenden Burgfrieden. [9] In der Urkunde wird das Amt des Baumeisters erwähnt, der jährlich am Martinstag durch Mehrscheitsbeschluß aus den Stämmen der Reihe nach gewählt wurde und die Wahl nicht ablehnen konnte. Er hatte den jährlichen Beitrag der Ganerben zum Bau des Schlosses einzufordern und darüber Rechnung zu legen, die notwendigen Bauten vornehmen zu lassen und Streitigkeiten zwischen den Ganerben zu schlichten. [10]

Versuch einer Rekonstruktion des Palas der Burg.

Ein Fürst, der Aufnahme in die Burg begehrte, sollte einen Beitrag von 100 rheinischen Gulden zum Bau der Burg geben, ein Herr oder Graf 25 Gulden, ein Ritter oder Edelknecht 4 Gulden. Kein Ganerbe durfte seinen Anteil der Burg veräußern, verschenken oder verpfänden. Schon bald nach Abschluß dieses Burgfriedens ging die große Zeit der Burg zu Ende, da zahlreiche Angehörige der Familie nicht mehr auf der Burg wohnten, welche durch die Entwicklung von Feuerwaffen ihren Wert als Verteidigungsanlage eingebüßt hatte. Im Laufe des 16. Jahrhunderts bauten sich die verschiedenen Stämme der Familie Höfe in den ihnen gehörenden Dörfern. [11] Die schwindende politische und wirtschaftliche Macht der Familie wirkte sich nachteilig auf die Erhaltung der Burg aus. In einem gemeinsamen Vergleich über das Schloß aus dem Jahr 1579 heißt es, es seien "die Mauern auch allenthalben eingefallen". Die Familie wählte Georg Appel von Löwenstein zum Baumeister, der vor allem auf die ordnungsgemäße Einnahme der zum Schloß gehörigen Gefälle und Holzablieferungen sowie die notwendingen Baumaßnahmen veranlassen sollte. [12]

Anfang des 17. Jahrhunderts zeigte sich die Burg, wenn auch stark renovierungsbedürftig, noch vollständig erhalten. Es wird vermutet, daß sie im Dreißigjährigen Krieg in Mitleidenschaft gezogen wurde, als die Truppen des bayerischen Generals von Bönninghausen die umliegenden Ortschaften Waltersbrück, Bischhausen, Niederurff, Oberurff, Zwesten, Kerstenhausen, Groß- und Kleinenglis und Gilsa niederbrannten. [13] Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts waren außer dem Bergfried nur noch Trümmer, Reste der Ringmauer, "regellose Steinhaufen" sowie auf der Südseite ein "massiver viereckiger Pfeiler" zu erkennen, die Gewölbe waren verschüttet. [14] Die Höhe des Bergfrieds wird zum Jahr 1818 nur noch mit 30 rheinischen Fuß (ca. 9,40 Meter) angegeben. [15] Der Abtrag der übrigen Gebäudereste soll aus Sicht des frühen 19. Jahrhunderts jedoch "erst in neuerer Zeit", mithin offenbar während des späten 18. Jahrhunderts, erfolgt sein. [16] So wird das Verschwinden der Schloßanlage als Ergebnis von allmählichem Verfall und Rückbau angesehen und nicht als Resultat einer gezielten kriegerischen Zerstörung. [17]

Abb. 3: Burg Löwenstein um 1790. Zeichnung von Heinrich Christoph Jussow.
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1836 war die Ruine im Besitz des Erben des Geheimrates Philipp von Wintzingerode, 1877 ging sie durch Kauf auf den Prinzen Philipp von Hanau über, den letzten Sohn des Kurfürsten von Hessen, von dem sie auf seine Enkelinnen vererbt wurde. [18] Im Jahre 1938 gelangte die Ruine erneut in den Besitz der Familie von Loewenstein. Bergassessor Hans von Loewenstein (1874-1959),[19] ein Nachfahre des hessischen Hofmeisters Johann von Löwenstein, erhielt die Überreste der Burg anläßlich seiner Pensionierung von seinem Arbeitgeber, dem "Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund/Essen" als Geschenk. [20] Hans von Loewenstein ließ die Ruine ab November 1938 sichern und umfangreiche Ausgrabungsarbeiten vornehmen.[21] Im Jahr 1939 soll der Bergfried durch Aufmauerung "seine alte Höhe von 20 Metern" erhalten haben. [22] Tatsächlich wurden lediglich die bereits im 18. Jahrhundert vorhandenen Schäden an der Turmkrone ausgebessert (vgl. Abb. 2 u. 3). Um 1940 wurde das Turmplateau mit einer neuen Betonplatte versehen sowie auf der Südwestseite ein zwischenzeitlich wieder entferntes steinernes Aussichtspodest mit drei Stufen errichtet. Infolge des zweiten Weltkriegs wurden die Grabungsarbeiten unterbrochen, so daß die freigelegten Ruinen wieder von Pflanzen überwuchert wurden. [23] Die Burgruine steht heute im Eigentum eines Enkels des Hans von Loewenstein. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren die Grundmauern weitgehend von Waldboden und Bewuchs bedeckt, Strukturen waren kaum zu erkennen. Das Mauerwerk des Bergfrieds war nur in Teilen verfugt und von Verfall bedroht, in den Fugen wurzelten Bäume und Büsche. Erst in den Jahren 2001/2002 wurde der Bergfried umfassend saniert, mit einer neuen Innentreppe und einer Dachhaube versehen und der Öffentlichkeit als Aussichtsturm zugänglich gemacht. Erstmals wurde auch ein regulärer Zugang im Erdgeschoß geschaffen. Bis dahin bestand die einzige Zugangsmöglchkeit über die Öffnung zum Wächterraum im ersten Obergeschoß, die nur mittels einer Leiter, ursprünglich vermutlich über eine Zugbrücke, erreichbar war. [24] Teile der Gebäude- und Umfassungsmauern wurden ebenfalls ergraben. Die Höhe des Bergfrieds wird heute mit 27 Metern angegeben. [25] Diese Angabe bezieht sich auf das Mauerwerk ohne die neue Dachhaube. [26] Zwischen 2009 und 2012 wurden die Grundmauern des südlichen Palas wieder freigelegt. Der Wallgraben umschließt noch heute fast die gesamte Anlage. Ausgrabungsarbeiten erfolgen je nach dem Vorhandensein von finanziellen Mitteln.

Historisches Erscheinungsbild

Abb. 4: Burg Löwenstein um 1630.
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Die Burg liegt westlich des Dorfes Oberurff auf einem dem Kellerwald vorgelagerten, von dem Bach Urff südlich umflossenen und sich rund 100 Meter über der Talsohle erhebenden 340 Meter hohen Hügel. Das Plateau der Bergkuppe hat eine Ausdehnung von etwa 120 x 100 Meter. Die ca. 350 Meter lange Ringmauer umfaßte einen ein Hektar großen Raum. Die Hauptburg mit ihren den Burghof umgebenden hohen Steingebäuden nahm etwa 1600 m² Fläche ein. In der Vorburg waren die Stallungen, die Scheune, die Schmiede und ein Brauhaus untergebracht. [27]

Die Hauptburg in der Nordwestecke des Plateaus bestand aus mehreren palasartigen Steinhäusern und der Burgkapelle. Die im Thesaurus philopoliticus abgebildete Zeichnung aus dem frühen 17. Jahrhundert (oben Abb. 1) läßt sich mit dem Grabungsbefund nicht in Einklang bringen und ist offenbar nicht maßstabsgerecht sowie perspektivisch verzerrt. Die Darstellung zeigt nicht den Burggraben, der insbesondere vor dem Bergfried tief in das Gelände eingeschnitten ist und nahezu kreisrund um die Burg herumführt. Die beiden rechts des Bergfrieds zu sehenden großen Steingebäude finden wegen des Burggrabens weder an dieser Stelle noch in diesen Ausmaßen Platz innerhalb des Burggeländes. Es handelt sich wahrscheinlich nicht um eine realitätsgetreue Wiedergabe, sondern um eine freie künstlerische Komposition wie sie im Thesaurus philopoliticus vielfach festzustellen ist.

Die bislang noch unvollständige Ausgrabung sowie der fehlende Höheneindruck der nicht mehr vorhandenen Wohnbebauung vermögen keine zutreffende Vorstellung von der Größe der Anlage zu vermitteln. Nach dem derzeitigen Grabungsbefund belegten die steinernen Hauptgebäude von Südwesten bis Nordosten eine Fläche mit einem Durchmesser von ca. 55 Meter, von Nordwesten nach Südosten von ca. 35 Metern. Der Abstand zwischen dem nördlichen Bergfried und dem südlichen Wehrturm beträgt sogar rund 70 Meter. Die Größe der Innenfläche, die Länge der Umfassungsmauern - etwa doppelt so lang wie jene der Weidelsburg - sowie zeitgenössige Zeichnungen lassen vermuten, daß die Burganlage noch wesentlich mehr Gebäude beinhaltete als bislang ergraben wurden.

Bilder

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Literatur

Anmerkungen

[1] Daniel MEISNER / Eberhard KIESER / Matthäus MERIAN, Thesaurus philo-politicus, h. e. emblemata s. moralia politica ... : accessit civitatum et urbium vera delineatio, Frankfurt am Main 1626, S. 749 (393) - (Digitale Ausgabe).
[2] SCHUNDER, Band 2, Regest Nr. 12 und 13 (S. 17-18).
[3] So SCHUNDER, Band 1, S. 26.
[4] So JUSTI (1799), S. 169; JUSTI (1826), S. 167.
[5] SCHUNDER, Band 1, S. 80.
[6] SCHUNDER, Band 1, S. 80; Band 2, Regest Nr. 257 (S. 120-121); Urkunde abgedruckt in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde (ZHG), Band 16, Neue Folgen 6 (1877), Baron Felix von Gilsa zu Gilsa, Zwei Urkunden betreffend 1) Vertrag der Ganerbenzu Waltersbrück: v. Löwenstein gen. Schweinsberg und von Gilsa zu Gilsa 1359; 2) Burghude zu Löwenstein 1371, S. 306-308 (Digitale Ausgabe).
[7] SCHUNDER, Band 2, Regest Nr. 257 (S. 120-121).
[8] SCHUNDER, Band 1, S. 81.
[9] SCHUNDER, Band 1, S. 81; Band 2, Regest Nr. 393 (S. 167-170). Druck der Urkunde: Carl Philipp KOPP, Ausführliche Nachricht von der älteren und neueren Verfassung der Geistlichen und Zivilgerichten in den Fürstlich-Hessen-Casselischen Landen, Erster Theil, Cassel 1769, Beylagen zu dem dritten Stück, Nr. 108, S. 205-213 (Digitale Ausgabe).
[10] SCHUNDER, Band 1, S. 81; Band 2, Regest Nr. 393 (S. 170); KOPP, wie vor.
[11] SCHUNDER, Band 1, S. 82.
[12] SCHUNDER, Band 1, S. 82.
[13] SCHUNDER, Band 1, S. 86; JUSTI (1799), S. 170, ist die Ursache der Zerstörung, nur 150 Jahren nach Ende des 30-jährigen Krieges, unbekannt.
[14] JUSTI (1826), S. 165; Abb. 2 (oben).
[15] JUSTI (1826), S. 166. Diese Angabe dürfte jedoch auf einem Irrtum oder Druckfehler beruhen (gemeint vielleicht: 90 Fuß?). Zeitgenössische Zeichnungen deuten darauf hin, daß der Bergfried zu keinem Zeitpunkt eine wesentlich geringere Höhe aufwies als heute, vgl. Abb. 2 u. 3.
[16] JUSTI (1826), S. 172.
[17] JUSTI (1826), S. 165, 166, 172.
[18] SCHUNDER, Band 1, S. 271; BRAUNS, S. 17.
[19] Vgl. zur Biografie des Hans von Löwenstein: SCHUNDER, Band 1, S. 266-271; Evelyn KROKER, Loewenstein, Hans von und zu, in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 102 f. (Online-Ausgabe).
[20] SCHUNDER, Band 1, S. 86: BRAUNS, S. 17.
[21] Waldeckische Landeszeitung, 1. Beilage zu Nr. 291 vom 13. Dezember 1939; SCHUNDER, Band 1, S. 271; Brauns, S. 17.
[22] Waldeckische Landeszeitung, wie Fn. 13. Richtig: 27 Meter, vgl. Fn. 10.
[23] BRAUNS, S. 15, 17.
[24] SCHUNDER, Band 1, S. 91; BRAUNS, S. 17.
[25] Angabe auf einer nach der Sanierung des Bergfrieds errichten Schautafel am Fuß der Burg sowie in einer Broschüre der Gemeinde Bad Zwesten. Stand: ca. 2007/2008.
[26] SCHUNDER, Band 1, S. 88 und BRAUNS, S. 15, geben diese Höhe bereits für die Jahre 1955 bzw. 1968 an, vor der Sanierung des Turms und des Aufbaus der Dachhaube.
[27] SCHUNDER, Band 1, S. 88.